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Die Natur der Kinder – Kinder der Natur

 

Wie erfahren Kinder die Natur? Erleben sie die Natur überhaupt als etwas anderes, getrennt von sich selbst, das es zu erfahren gilt?  Möglicherweise empfinden kleine Kinder die Natur noch als das, was sie ist - nämlich ein Teil von ihnen. Kinder sind Natur sowie die Natur Teil jedes Menschen ist. Und Kinder haben zumeist das Grundbedürfnis diese Natürlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Sie wollen wachsen und sich verwurzeln, sie möchten wild sein und ruhig; sie bewegen sich und halten inne; sie folgen ihren Rhythmen; sie blühen auf und bringen ihre Einzigartigkeit zum Erscheinen; Kinder sind Wunder, die sich verbunden mit der sie umgebenden Umwelt entfalten möchten.

 

Insofern geht es im Idealfall darum, die Natur als Lebensraum für jedes Kind anzuerkennen, was in einer Gesellschaft der Trennungen gar nicht so leicht fällt. Wir trennen  Arbeit von Freizeit, Schule von Freude, Natur vom menschlichen Lebensalltag. In dieser Reihe ließen sich leider noch viele Beispiele nennen. Tatsache ist, dass unser penibler Versuch Lebensbereiche und Menschen voneinander fern zu halten dem natürlichen Bedürfnis nach Verbundenheit entgegenwirkt. Kinder tragen das Empfinden für Verbundenheit in sich. Sie wenden sich jedem Lebewesen, das sie auf ihrem Weg entdecken, mit größter Hingabe zu; sie staunen, beobachten, erfahren und benennen die Welt um sich herum, die in direkter Resonanz mit ihrer „Innenwelt“ steht. Sie schenken allem ihr grundsätzliches Interesse, ihre Zeit und ihre Liebe, weil sie ein Empfinden davon haben, dass sie selbst Teil des großen Ganzen sind.

 

Im Laufe der Sozialisierung lernen jedoch viele Kinder in unserem Kulturkreis, dass es gar nicht selbstverständlich ist sich frei in der Natur zu bewegen. Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind mannigfaltig und haben schließlich dazu geführt, dass sich Erwachsene nach und nach darüber Gedanken machen, wie wichtig die Naturerfahrung für Kinder – und ich möchte sagen – für alle Menschen tatsächlich ist.

 

Die Natur – Mutter Erde – ist Quelle für menschliche Gesundheit auf allen Ebenen unserer Existenz.

 

Eine gelebte Beziehung zu Mutter Erde hilft den Menschen und hilft der Natur.

 

Kinder, die sich regelmäßig in der Natur bewegen, auf Bäume klettern und im Schlamm spielen dürfen, sind verwurzelt und gut geerdet. Sie haben ein  intuitives Empfinden darüber, dass sie Wurzeln und eine Krone haben wie die Bäume. Wenn sie zudem die Möglichkeit haben den Jahreskreis mitzuerleben, das ständige Werden und Gehen, dann stärkt sich in ihnen ein Wissen um natürliche Abläufe und Zyklen. Sie kennen den Rhythmus der sie umgebenden Natur und sind damit vertraut. Das gibt den Kindern Sicherheit während sich gleichzeitig eine innere Sicherheit, ihre Selbst-Sicherheit, aufbaut und stabilisiert. Beim Erkunden des Waldes, Erklimmen von Bäumen, Überspringen eines Baches erfahren Kinder ganz direkt und unvermittelt ihre eigene Kraft als auch ihre Grenzen. Sie lernen sich selbst und ihre Umgebung einzuschätzen und können, wenn sie wiederholt die Möglichkeit haben auf Wiesen und in Wäldern herumzulaufen, viele motorische Fertigkeiten trainieren. Die Kinder werden geschickter, wendiger und kräftiger und ihre Selbstsicherheit nimmt zu. Zudem wird das Immunsystem gestärkt und die intellektuelle Entwicklung gefördert. Gleichzeitig lernen sie, wenn sie sich regelmäßig in der Natur aufhalten, auch die Gefahren besser einzuschätzen. Abenteuerlust, Risiko und eigene Grenzen rücken in ein reales Verhältnis.

 

Wenn Hütten und Lager gebaut oder Hindernisse überwunden werden wollen, ist Kreativität gefragt. Sofern wir den Kindern die Bewältigung des Problems nicht abnehmen, sondern ihnen Werkzeug und Material anbieten, das ein Wald in Hülle und Fülle bereithält, dann kann ihre Kreativität sprießen. Wir wissen, dass Kinder, die einen Waldkindergarten besucht haben, in der Schule unter anderem dadurch auffallen, dass sie äußerst kreative Problemlösungsstrategien zeigen und frei sind Gedanken zu denken, die nicht vorgegebenen Strukturen folgen. Sie haben gelernt mit einfachen Hölzern komplexe Spiele zu spielen; sie können Sinnvolles mit Freudvollem verbinden. Anders gesagt, praktisches Arbeiten macht Spaß und bringt Kompetenz mit sich. Die Kinder haben Freude am Entdecken und Gestalten. Damit ist nicht gemeint, dass Kinder, die in Städten leben, keine Möglichkeiten haben ihre Kreativität zu entwickeln. Die Natur hat einfach den Vorteil, dass sie so natürlich, so selbst-verständlich ist. Kinder sind mit ihr im besten Fall in Beziehung und brauchen kein eigenes Programm zur Kreativitäts- und Selbstsicherheitsförderung, wenn sie nur reichlich Zeit draußen verbringen dürfen. Städtische Parks haben auch interessante Bereiche für Kinder, wo entdeckt, gespielt und geforscht oder auch mal gepicknickt werden darf. Die Blümchen, die aus alten Hausmauern und Gehwegen sprießen, sind bei genauer Betrachtung reine Wunderwerke. In dem Sinne ist Natur fast überall zu finden.

 

Kinder, die die Natur mit all ihren Tieren und Pflanzen erleben dürfen, sind später auch die Erwachsenen, die sich für deren Schutz einsetzen. Umweltschutz beginnt im Kindesalter!

 

Diese Kinder werden beginnen Interessen und später Geschäftsideen nachzugehen, die selbstverständlich das Wohlergehen von Mensch und Natur bzw. das Wissen darum, dass Mensch ein Teil der Natur ist, einbeziehen. Die Natur als Entwicklungsraum – für Menschen und deren Kreationen.

 

Gemeinsamkeit ist wichtig! Wann auch immer Sie die Möglichkeit haben gemeinsam mit Ihren Kindern Unternehmungen ins Grüne zu machen, schenken Sie sich diese Gelegenheit. Wenn die Natur in der Gruppe von Familienmitgliedern oder FreundInnen  erfahren wird, wird das Gruppengefühl gestärkt, ein Sinn für Zusammengehörigkeit geschärft und soziales Verhalten im Kontext der Natürlichkeit gelernt. Mut und Vertrauen werden gefördert,

Achtsamkeit und Respekt werden Teil der natürlichen Kompetenz, und die geteilten Erlebnisse bleiben begleitet von einem angenehmen Gefühl im Gedächtnis.

 

Vor drei Jahren habe ich eine Waldschule für Kinder und Jugendliche gegründet, weil ich Raum und Möglichkeit für all die oben beschriebenen Aspekte des Naturerlebens schaffen wollte. Die Kinder kommen von September bis Juni an je einem Samstag im Monat zu uns in den Wald. Zusätzlich verbringen wir im Laufe des Jahres ein Wochenende gemeinsam in den Bergen. Diese Erfahrung  zeigt mir die Wichtigkeit und das Potenzial einer kontinuierlichen Gruppe, in der jedes Kind seine Einzigartigkeit entfalten und zum Ausdruck bringen kann, wo Verantwortung für das Wohlergehen aller in der Gruppe übernommen werden muss als auch Verantwortung für bestimmte Aufgaben. Zudem lernen die Kinder ganz selbstverständlich wichtige Fertigkeiten wie Feuer machen bei jedem Wetter, Kochen am offenen Feuer, Pflanzen erkennen und gegebenenfalls verarbeiten, Hütten bauen und vieles mehr. Sie beginnen mit den Bäumen und Sträuchern zu kommunizieren und empfinden die Tatsache, dass sie hören und fühlen, was die Pflanzen ihnen erzählen, als selbstverständlich. Demnach verlegen wir unsere Spiele manchmal in die Nähe bestimmter Bäume, die es offenbar gern haben, wenn Kinder um sie herum sind. Andere wiederum mögen es lieber ruhig. Wir ermutigen die Kinder dazu unser Programm mitzugestalten und uns zu erzählen, was sie lernen und erleben möchten, denn es kann nur darum gehen, die Kinder auf ihrem Weg zu unterstützen und zu stärken. Schließlich wünschen wir uns, dass sie ihre Gabe, ihr ganzes Potenzial erkennen und mit der Welt teilen können. Die Freiheit, die sie dazu brauchen, lässt sich auch am besten in der Natur erfahren. Selbst wenn die Rahmenbedingungen aus Sicherheitsgründen kontrolliert sind, so gibt es doch ein Empfinden von Freiheit, wenn wir uns im Grünen bewegen und den Duft und die Qualität eines Baumes wahrnehmen während wir auf seinem Ast sitzen.

 

Da alle diese Naturerfahrungen direkte Lebenserfahrungen sind, rühren sie das Wesen der Kinder an. Die Kinder spüren, dass sie mit dieser Art des Seins ganz bei sich selbst ankommen und sich selbst ganz natürlich Ausdruck verleihen können. Oft bedeutet das, dass die Kinder viel Zeit damit verbringen, zu laufen und zu spielen, denn das ist der adäquate Ausdruck in ihrer Lebensphase. Und genau das kommt bei vielen Kindern mittlerweile oft viel zu kurz.

 

Natur macht Sinn. Eine gesunde Natur macht für uns Menschen nicht nur aus ökologischer Sicht Sinn, sondern sie stärkt auch ein Empfinden für Lebens-Sinn und Lebens-Freude. Mutter Erde kann in schwierigen Situationen Trost spenden, Gelassenheit fördern und unser Wohlbefinden anheben. Für Kinder kommt noch dazu, dass die Reize, die eine natürliche Umgebung bietet, aufgenommen und verarbeitet werden können – ganz im Gegensatz zur üblichen und permanenten Reizüberflutung im städtischen Raum und in vielen Medien. Zudem lädt uns die Natur zur Langsamkeit ein. In Zeiten, wo sogar Kinder unter Stress und Burnout leiden, ist es besonders heilsam, dass sich Kinder im Freien in einem adäquaten Tempo bewegen können. Sie laufen, halten inne, stehen und staunen, kriechen, springen und verhalten sich den Gegebenheiten entsprechend. Das Leben in der Natur ist direkt, die Konsequenzen sind oft unmittelbar zu spüren und dies mit allen Sinnen. Dadurch lernen Kinder auch sich selbst besser zu spüren und sich dementsprechend ihrer Umwelt gegenüber zu verhalten.

 

Kinder selbst erzählen, dass Spielen draußen viel schöner sei als drinnen. Sie lieben das Gefühl von Abenteuer, Freiheit, Einfachheit und die frische Luft.

 

In diesem Sinne ist die Frage nach der Wichtigkeit der Naturerfahrung für Kinder vergleichbar mit der Frage, ob Kinder Luft zum Atmen brauchen.

 

Tipps für Eltern:

  • Gehen sie mit ihren Kindern so oft wie möglich raus – und das bei jedem Wetter. Mit guter Ausrüstung wird sogar ein Regentag zum Abenteuer.

  • Einfachheit: Sie müssen nicht immer einen tollen Ausflug planen, auch das gemeinsame Springen in frische Pfützen kann Freude und Begeisterung auslösen. Das ist selbst in der Stadt möglich.

  • Wenn Sie selbst keine zeitlichen Kapazitäten haben mit den Kindern in die Natur zu gehen, bieten Sie Ihren Kindern an bei Waldschulen, Wildniscamps oder anderen naturpädagogischen Programmen teilzunehmen.

  • Erlauben sie Ihren Kindern sich erdig zu machen und verwechseln sie Erde nicht mit Schmutz.

  • Bauen sie mit ihren Kindern Lager oder Schutzhütten im Wald oder auf einem frei stehenden und verwilderten Grundstück.

  • Lassen sie die Kinder, wenn möglich, auch mal mit FreundInnen alleine losziehen, um die Natur zu erkunden.

  • Kinder lieben Wasser. Mit Becherlupen wird ein kleiner Bach oder Teich zur Forscherzone.

  • Nehmen Sie sich Zeit Tiere zu beobachten. Die Erfahrung von Stille und Zeit beim Beobachten ist ein wertvoller Schatz.

  • Einfache Spiele beim Wandern verkürzen das Empfinden der Wegstrecken.

  • Sinnesspiele machen Spaß! Sammeln Sie kleine Fundstücke wie Rindenteile, Moos, Blätter etc. und lassen Sie die Kinder mit geschlossenen  Augen daran riechen und sie ertasten.

  • Pflanzen Sie gemeinsam Apfelkerne, Zitronenkerne, Tomaten oder anderes Obst und Gemüse – im Garten, am Balkon oder am Fensterbrett.

  • Lassen Sie die Kinder Kinder sein. Sie werden von selbst erwachsen.

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